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Interview: Wie Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit Unternehmen fit für die Zukunft machen

In einer zunehmend digitalisierten Welt stehen kleine und mittlere Unternehmen (KMU) vor der Herausforderung, nachhaltige Lösungen zu entwickeln, die nicht nur den ökologischen Fußabdruck reduzieren, sondern auch langfristig ökonomische Vorteile bieten. Künstliche Intelligenz (KI) spielt dabei eine immer größere Rolle. Doch wie genau kann KI zur Förderung von Nachhaltigkeit in kleinen und mittleren Unternehmen beitragen? Welche Potenziale und Herausforderungen ergeben sich, bei dem Wunsch KI nutzen wollen, um nachhaltiger zu werden?

In diesem Interview sprechen wir mit Maik Hausmann, Experte für Geschäftsmodelle vom Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML) sowie Tobias Hoiten, Experte für Nachhaltigkeit im Mittelstand-Digital Zentrum Bremen-Oldenburg, über ihre Perspektiven und praktischen Erfahrungen mit diesen Fragen.

Maik Hausmann ist Experte für Geschäftsmodelle am Mittelstand-Digital Zentrum Ruhr OWL und arbeitet am Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML). Mit seiner Expertise unterstützt er kleine und mittlere Unternehmen dabei, digitale Technologien wie Künstliche Intelligenz gezielt einzusetzen, um nachhaltige und zukunftsfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Tobias Hoiten ist Experte für Nachhaltigkeit am Mittelstand-Digital Zentrum Bremen-Oldenburg und arbeitet am OFFIS – Institut für Informatik in Oldenburg. Seine Arbeit konzentriert sich auf die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Unternehmensstrategie, insbesondere durch den Einsatz moderner Technologien wie KI. Auch er unterstützt kleine und mittlere Unternehmen dabei, nachhaltige Praktiken zu entwickeln und umzusetzen, die sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll sind.

Hausmann: Für mich ist KI vor allem ein Werkzeug. Der Nachhaltigkeitsimpact ergibt sich aus dem Kontext. Häufig lassen sich Lösungen nicht von vornherein nachhaltig planen, sondern ergeben sich im Laufe einer Idee. Wenn es nur so etwas ist wie zum Beispiel Papier einsparen zu wollen, dann ist das zu kurz gedacht. Um langfristig Nachhaltigkeit zu erreichen, geht es eher um Punkte wie, aus digitalen Zwillingen Produktentwicklungssimulationen oder Prozessoptimierungen abzuleiten. Die haben dann natürlich schon einen deutlicheren Gegenwert, was dann auch die Nachhaltigkeit positiv beeinflusst.

Für mich ist KI vor allem ein Werkzeug.

Maik Hausmann, Experte für Geschäftsmodelle

Ein weiteres Beispiel aus dem Kontext KI und Nachhaltigkeit ist ein Forschungsprojekt, das wir gerade betreuen. Das Projekt Sustainalyze haben wir im Leistungszentrum gefördert. Hierbei geht es darum, Nachhaltigkeitsberichte vergleichbar zu machen. KI wird sowohl zur Bilderkennung als auch zur Texterkennung eingesetzt, um gleiche Passagen aus verschiedenen Nachhaltigkeitsbereichen von Unternehmen in verwandten Branchen zu analysieren, diese Kernschlagworte herauszunehmen und in einen Vergleich zu stellen. Darüber können sich die Unternehmen im Vergleich zu Partner:innen oder zur Konkurrenz selbst einordnen.

Hoiten: Letztendlich kann man zwei Perspektiven einnehmen: Welche Rolle hat Künstliche Intelligenz auf die Nachhaltigkeit, aber auch inwieweit gibt es eine nachhaltige KI.

KI ist sehr energieintensiv und da stellt sich natürlich auch die Frage, eine KI zu haben, die zum einen nachhaltig ist, auf der anderen Seite kann man mithilfe von Machine Learning und KI sich auch selbst nachhaltiger aufstellen, effizienter seine Produktionsabläufe gestalten, um damit letztendlich nachhaltiger zu sein. Das geht auf jeden Fall. 

Hausmann: Bei uns im Institut gibt es verschiedene Fördermöglichkeiten, beispielsweise durch sogenannte “call for ideas”. Das sind Ideenwettbewerbe, bei denen Forschende zwei Mal im Jahr selbst Ideen einreichen können. Da gibt es dann für bis zu 6 Monate ein Fördervolumen von 100.000 Euro und damit können Ideen in die Praxis umgesetzt werden.

Andere Beispiele dafür sind die Optimierung von Verpackungen, um den Volumennutzungsgrad zu optimieren, sprich man versucht zu vermeiden, viel Luft zu verschicken. Gleichzeitig möchte man aber auch nicht für jeden Artikel eine einzelne Box haben. Dann hätte man ja hundert verschiedene Größen, was auch nicht nachhaltig wäre. Dementsprechend geht es darum, das Artikelspektrum mit dem verbesserten Verpackungsalgorithmus abzugleichen und zu optimieren. Mit dem sogenannten Kartonagespektrum gibt es nochmal eine andere Anwendung. Das sind alles Beispiele, die in diesen Ideationen Wettbewerbe gewonnen haben, umgesetzt wurden und jetzt in die Praxis transferiert werden.  

Hoiten: Ja, ich nutze schon KI-gestützte Tools, gerade um sich Inspiration zu holen ist das auf jeden Fall sehr nützlich. Beispielsweise sammelt ChatGPT Informationen aus dem gesamten Internet und das kann man wirklich ganz gut nutzen, um den ersten Aufschlag zu machen, um sich Inspiration sammeln zu lassen oder sich Strukturen liefern zu lassen. Das erspart, gerade im ersten Step, schon ein bisschen Arbeit. Für tiefgründigere Sachen ist das Tool allerdings aus meiner Sicht noch nicht ganz ausgereift.

Hausmann: Ein Beispiel dafür ist eine Blockchain-basierte Lösung zur Vermittlung von Dienstleistungen, die in einem produzierenden Gewerbe eingesetzt wurde. Das wurde auch in einem Unternehmen pilotiert, was vielleicht erstmal überraschend klingen mag. KMU und Blockchain, das klingt wie zwei unterschiedliche Welten. Aber genau da sind diese Eingangsvoraussetzungen erfüllt worden. Es gibt viele Teilnehmende, die sich nicht kennen, sich nicht zwangsläufig vertrauen, aber irgendwie Daten austauschen müssen. Kerngedanke dabei war es, Produktionskapazitäten optimal auszulasten. Das bedeutet, wenn ein Unternehmen freie Kapazitäten hatte, konnte es diese in einer digitalen Plattform Listen und da von anderen Unternehmen gefunden werden. Dadurch lassen sich dann insgesamt Produktionskapazitäten optimieren. 

Blockchain: Blockchain (engl. Blockkette) ist eine spezielle Technologie zur Datenhaltung in dezentralen verteilten Netzwerken, d.h. in Netzwerken, die nicht von einer zentralen Instanz verwaltet werden. Daraus ergeben sich interessante Eigenschaften wie Automatisierungspotenzial und Kontrolle über den Grad der Transparenz im Netzwerk.

Hoiten: Wir merken es manchmal, dass Unternehmen auf uns zukommen und konkret sagen: “Wir möchten jetzt KI nutzen” oder “Wir möchten jetzt was mit KI machen”. Wir gehen dann in die Analyse und stellen manchmal auch schnell fest: Bevor wir uns überhaupt über KI unterhalten, müssen wir erst ganz andere Sachen machen im Bereich der Digitalisierung, damit wir KI überhaupt nutzen können.

KI ist gerade ein Buzzword, von dem jeder hört und das jeder irgendwie nutzen möchte. Und vielleicht ist aber auch KI nicht die richtige Lösung für ein Unternehmen, sondern vielleicht ist es dann eher eine Prozessabfolge, die man einfach digitalisieren kann, für die gar keine KI gebraucht wird, sondern Prozesse ein bisschen schlanker gestaltet werden müssen. Wir merken manchmal schon, dass KI mit Digitalisierung verwechselt wird und auf jeden Fall auch noch Aufklärungsarbeit betrieben werden muss.

“Bevor wir uns überhaupt über KI unterhalten, müssen wir erst ganz andere Sachen machen im Bereich der Digitalisierung.”

Tobias Hoiten, Experte für Nachhaltigkeit

Hausmann: Im Grunde sehe ich drei Kernherausforderungen: Die erste Herausforderung ist der regulatorische Druck und die Unsicherheit, die damit einhergeht. Es geht besonders darum, dass zum Beispiel Gesetze wie das Lieferkettengesetz mit immer neuen Anforderungen an Unternehmen herantreten, deren Umsetzung teilweise horrend aufwendig ist, gerade für kleine und mittelständische Unternehmen. Das alles zu durchblicken, zu erfüllen und prüfen zu lassen; da bekommen wir auch in Transferprojekten im Mittelstand-Digital Zentrum die klare Rückmeldung, dass KMU sich häufig überwältigt fühlen.

Zweitens ist da der Druck von Stakeholdern: Selbst, wenn man eigentlich zu klein ist, um einen Nachhaltigkeitsbericht anfertigen zu müssen, gibt es indirekt, heruntergetragen entlang der Supply Chain, die Anforderungen von Partner:innen, die das einfordern. Also ist der Schritt dann zum eigenen Nachhaltigkeitsbericht gar nicht mehr so groß.

Das Dritte ist der eigene Anspruch beziehungsweise das Verinnerlichen der Nachhaltigkeitsthemen. Da geht es darum, dass Nachhaltigkeit auch gelebt wird und nicht irgendein Excel File ausgefüllt wird, um dann diese Zahlen zu liefern, sondern dass halt wirklich in der Belegschaft ein Bewusstsein entsteht. Warum machen wir das Ganze? Nachhaltigkeit ist mehr als nur Zwang, sondern auch wirklich eine zukunftsgerichtete, wichtige Perspektive, die von allen gelebt werden sollte. Das sind im Großen und Ganzen die drei Bereiche. Operativ kommt dann häufig noch fehlende Zeit oder fehlendes Know-How dazu.

Hoiten: Um Unternehmen nachhaltiger aufzustellen, braucht es ein großes Commitment der Geschäftsführung. Das muss auch von oben kommen, sich wirklich nachhaltiger einsetzen zu wollen. Und dann merken wir auch, dass es da schon die Regel ist, dass viele noch gar nicht so viel Nachhaltigkeitserfahrung haben, wo man natürlich schon relativ weit unten anfangen muss; was auch gut ist, damit man sich wirklich breit mit dem Themenfeld auseinandersetzen kann.

Aber wir merken halt auch, dass es Unternehmen gibt, die schon sehr, sehr weit sind in dem Themenfeld, wo dann wirklich nur noch ein paar Stellschrauben festgedreht werden müssen. Das ist echt spannend mit den Unternehmen zusammenzuarbeiten und zu merken, wie dann auch die Entwicklung in den Bereichen ist und was man eigentlich auch alles unter den Bereich Nachhaltigkeit fassen kann. Weil viele Menschen denken, dass es nur die ökologische Nachhaltigkeit gibt und es darum geht, wie viel CO2 ich verbrauche. Aber sie vergessen dabei, dass es auch um soziale Nachhaltigkeit geht, also meine Mitarbeitenden und meine Kund:innen. Und meine anderen Lieferanten beispielsweise, die gehören auch in einer gewissen Weise zu dem Thema Nachhaltigkeit. Dann die Fragen “Wie kann ich damit eigentlich umgehen?”, “Wie kann ich nachhaltige Geschäftsbeziehungen aufbauen?”, “Wie kann ich meine Mitarbeitenden nachhaltig davon überzeugen, auch für mein Unternehmen zu arbeiten?”.

Das sind ganz, ganz spannende Themen, über die es auch zu reden gilt.

Das Interview führte Gerrit Claßen im Rahmen der Digital-Tour 2024 in Bremen.

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